BODY POSITIVITY statt BODY SHAMING

April 10, 2018 9 Von jenlovetoread

Die Vera von Chaoskingdom hat mit dem erscheinen von  „DUMPLIN“ von Julie Murphy im Fischer Verlag, die Aktion Body Positivity statt Body Shaming ins Leben gerufen. Mit der Zeit sind einige Beitrage online gekommen, unter anderem von:

Babsi – TheBlueSiren
Julias Wunderland
Katfromminasmorgul
Library of Fairytales
Nenis Welt

Der Beitrag von Eva von Schreibtrieb hat mir heute den letzten Anschwung gegeben hier nun doch etwas zu erzählen. Dieser Beitrag enthält meine persönliche Geschichte und wie schlimm es ist lediglich auf seinen Körper, der nicht der Gesellschaft entspricht, reduziert zu werden. Ich möchte das hier in zwei Teile auf teilen. Im ersten erzähle ich von dem Verlauf meiner Jugend, meine persönliche Horrorzeit und mein Umgang damit. Um einmal zu verdeutlichen was es mit einem Menschen macht, der wegen seinem “anders sein” einfach ausgeschlossen wird. Im zweiten Teil möchte ich auf das BP eingehen, wie ich es geschafft habe mich damit zu arrangieren, wie ich heute mit den Spätfolgen zurecht komme und was ich an mir selbst liebe, schätze und achte.

Teil 1 – der Weg vom Kindergarten bis zum jungen Erwachsenen: was stellt BS mit einem Menschen an

Mein “Leidensweg” begann schon sehr früh. Natürlich kann ich mich nicht an alles erinnern, was zu Kindergartenzeiten passiert ist, dennoch gibt es einzelne Momente die hängen geblieben sind, welche einfach noch immer in meinem Hinterkopf spucken. Also fangen wir an. An meinen ersten Kindergarten erinnere ich mich nicht, an den Zweiten dafür umso besser. Und auch an die Worte der anderen Mädchen, die nicht mit mir spielen wollten, weil ich “zu langsam sei”. Im Alter von 5-6 Jahren begann ich zuzunehmen, trotz viel Bewegung und vielseitiger Ernährung. Aber es störte mich nicht, für mich was das einfach normal. Es war mein Körper und mit dem kam ich zu dieser Zeit noch zurecht. Nur langsam begriff ich, warum die anderen Kinder keine Interesse an Zeit mit mir hatten. Trotzdem war ich nicht so sportlich wie die anderen, aber auch das störte mich nicht, bis ich deswegen eben ausgeschlossen worden bin. Das äußerte sich in den Momenten, in dem ausschließlich ich der Fänger im fangen spielen war und die anderen Kinder darüber lachten. Es sind die Dummheiten von unerfahrenden Kindern gewesen und doch waren es Dummheiten, die mich prägten. In meiner Freizeit besaß ich eine ältere Freundin aus der Wohngegend, ich sah zu ihr auf, da sie sich steht’s sehr lässig gab. Durch sie kam ich in die Gruppe der anderen Kindern, die ich mich niemals getraut hätte anzusprechen. Mehr geduldet als gewollt, konnte ich mitspielen und habe mir so meinen Alltag zurecht gelegt. Wenn keiner da war .. nun, dann alleine. Ich war zuhause, für mich und mit meiner Familie eigentlich ganz glücklich. In der Grundschule fing es dann erst richtig an und ich wurde mir allem richtig bewusst. Eingeschult wurde ich in Klasse A, fühlte mich super zu der Klasse zu gehören und fand ein wenig den Anschluss und Freundschaften. Zur zweiten Klasse hin beschloss die Schule die unsportlichen Schüler in die B zu versetzen. Als ehemaliger A-Schüler wurde ich mit einem doch recht unangenehmen Blick betrachtet. Schnell war ich der Außenseiter, die Letzte die in Spielen gewählt wurde. “Sie ist zu langsam” oder “mit so einer Dicken wollen wir nichts zu tun haben”, sind Sätze die mich in den ersten Jahren begleitet haben. Damals wollte ich trotzdem dazu gehören und habe mich bemüht den anderen gerecht zu werden, habe  mich verformt und war nicht ich selbst. Ein Beispiel: Ich war ungefähr 10 und wir verbrachten die Zeit zwischen Schule und AG auf den Spielplatz nebenan. Zwei Jungs aus meiner AG, einen kannte ich schon ziemlich lange, spielten doch wirklich mit mir. Es war schön.. bis sie mir Dinge nahmen, damit ich ihnen hinterherrennen musste. Sie machten sich darüber lustig, dass ich langsamer war. Sie machten sich darüber lustig wie unsportlich und freundlich ich zu anderen war. Während der “Verfolgung” bin ich dem einen Jungen auf den Rücken gelaufen, statt auszuweichen: In meinem Wut und meinem Zorn stoppte ich nicht, als er direkt vor mir auf die Nase viel. Mit beiden verbrachte ich danach keinerlei Zeit mehr. Ich fühlte mich einsam, ausgeschlossen und erniedrigt. Langsam begann ich mit keinem mehr zu reden und gab den Selbsthass in mir nach. Ich nahm hin, wie sie im Sport lachten, wie sie tuschelten und war immer noch freundlich. Ich schloss mich zwei Schülerinnen an. Sie gaben mir das was ich wollte. Und nutzen es aus. Es hat gedauert bis ich die Lästerrein über mein Übergewicht, meine Haare und meine Klamotten wirklich mitbekommen habe. Ich bin mit geschlossenen Augen dort gewesen um ein Funken von dem zu bekommen, was so viele in der Schule hatten. Ein weiterer Mitschüler bedrohte mich in der fünften Klasse mit dem Messer, “dann kann ich dir dein Speckbauch entfernen”, waren seine Worte. Das war der Punkt, in dem es zum ersten Mal klick gemacht hatte. Ohne genau zu erläutern bat ich die Schule zu wechseln. Zu dieser Zeit glaubte ich, dass es besser werden würde. Das es Menschen geben könnte die meine Figur und mich selbst in ihrer Mitte akzeptieren würden. 2006, kurz vor meinem 11 Geburtstag, sind wir umgezogen, ich drehte der alten Gegend den Rücken zu, welche sich ebenso Stück für Stück von mir abgewandt hatte und wagte ein “Neuanfang”. Meine neue Grundschule schien anfangs.. perfekt. Meine Mitschüler gaben mir den Spitznamen “Mously”, weil es vor mir auch eine Jenny gegeben hatte und sie sie immer so nannten. Warum? Keine Ahnung, aber es war mir egal – ich gehörte dazu! Ich stand bei ihnen, ich redete mit ihnen. Ich war happy. In der neuen Wohngegend traf ich dann Claudia, ein junges, sportliches Mädchen mit wilden Locken, einem offenen Lachen und der erste Mensch, der mich sofort ohne zu zögern bei sich annahm.

Was von einem Treffen zum Inliner fahren lernen begann ist heute eine 12 Jahre anhaltende Freundschaft. Dafür bin ich immer dankbar. Claud, ich weiß, dass du meinen Blog nicht verfolgst – dennoch danke ich dir für alles was wir in unseren Leben erreicht haben, für alle Gespräche bis tief nach Mitternacht und jede Umarmung.

In  den 3-4  Monaten dachte ich, ich wäre endlich im Leben angekommen. Nach Claud folgten weitere Mädchen, weitere Freundschaften und eine richtige “Hofclique”, doch schlagartig änderte sich die Situation in der Schule. Die drei Frontdamen der Klasse beschlossen aus dem heiteren Himmel heraus: Mously gehört nicht zu uns. Sie ist fett, sie ist hässlich, sie ist ein Streber den wir nicht wollen. Damit startete der ganze Horror von vorne, die ganze Klasse gegen mich. Ein Schüler nannte mich “Jenpferd”, weil mein Hintern genauso groß sei. Ein anderer aus der Parallelklasse “Jenmob”, so viele Speckfalten wie ein Mobs. Diese beiden “Begriffe” waren bis zum Ende der 6. Klasse mein Name. Genauso, wie das Gelächter, wenn ich das Reck nicht schaffte, genauso wie die geschmacklosen “Ansporn” Rufe beim 12 Minute Lauf a lá “Komm schon, du musst nur noch ein bisschen Kugeln”. Genauso wie meine verschwundenen Klamotten nach dem Sport, damit ich in den Sportsachen raus musste, weil die andere Kleidung ihnen nicht passte: “da passte eh nicht richtig rein”, war die Erklärung. Dies.. um nur ein paar Beispielen von ganz vielen zu nennen. Es war zu viel für mich. Claudi und die anderen fingen nicht den Schmerz auf, der sich in meinem Körper sammelte. Ich begann meinen Frust, meine Traurigkeit mit Essen zu kompensieren. Noch vor meinem 12 Lebensjahr aß ich 2000 oder mehr Kalorien. Dickes Schokobrot zum Frühstück, Schulbrote, vom Taschengeld nach der Schule 2 Eis gekauft um die zu essen, meine Tränen zu trocknen und dann erst nachhause zu gehen. Abends Pizza, weil ich es wollte, weil ich es brauchte. Dieses Essverhalten, dieses wirklich krankhafte Essverhalten zog sich bis tief in meine Teenager Zeit mit rein. Es linderte den Schmerz, den andere bei mir verursachten. Kinder sind grausam.

An dieser Stelle, weil es einfach passt: BITTE, heute und in Zukunft, bei Freunden, Bekannten, eigener Familie, eigenen Kindern, was auch immer. Macht aufmerksam wie sehr Wörter und Taten verletzten können, macht aufmerksam wie sehr es andere beeinflusst. Das tut es unheimlich. Es hat mein Leben jahrelang gesteuert.

2008 war ich nun 12 Jahre alt und durfte die Grundschule endlich verlassen.  Mein Übergewicht hatte durch das ungesunde Essverhalten sich erhöht, mittlerweile wog ich bei keinen 1,52 (ca) ungefähr 70 kg und trug 42/44. Es war mir peinlich. Es war mir unangenehm wie mich andere angesehen haben.

Ich fühlte mich hässlich, fett, ungewollt, ungeliebt, wertlos. Und ja, auch das mit meinen Freunden. Ich begriff zu der Zeit nicht, dass es Claudi und Co. einfach egal war, was ich an mir als schlecht empfand.

Die Oberschule war ab da fast schon harmlos. Ich landete mit meinem Namesgeber “Jenmob” in einer Klasse, welche wir uns ab da noch weitere 6 Jahre teilten. Ich hab ihm vergeben, aber vergessen habe ich es nie. Mit der Teenagerphase wurde ich um einiges emotionaler. Ich weinte viel, ertränkte meine Frust über das Übergewicht nach wie vor im Essen. Ich war zwar ein Teil der Klassengemeinschaft, aber größtenteils doch der Stille Begleiter. Ich akzeptierte, dass ich in der Schule niemals das haben würde, was vielleicht möglich gewesen hätte sein können. Es waren die ersten Tage in denen ich mir sagte:

Du musst mit dir selbst leben, nur mit dir und nicht mit den anderen. Du musst mit dir zufrieden sein und nicht die anderen.

Zwischen meinen damaligen Schulfreunden fühlte ich mich dennoch wie ein 5 Rad am Wagen fühle, dazu meine eigene körperliche Entwicklung vom Mädchen zur Frau und familiäre Problemen führten auch in den Jahre 12 – 16 zu einem schlechten Essverhalten. Wochenende sturmfrei? Morgens Nutella, Mittags Nudeln und zum Abendessen Pizza – naiv? Ja. Dumm? Absolut. Für mich logisch – aber hallo. Ich konnte und wusste mir nicht anderes zu helfen. Lediglich zu meiner Jugendweihe 2010 nahm ich 8 kg ab, so viel hab ich danach bis heute nie wieder geschafft. Neben dem Essverhalten zog ich mich von vertrauten Menschen zurück und verbrachte lieber 6 Stunden mit meinem Laptop, Onlinegames und dem Internet. Ganz genau, wann es anfing, das ich anderes dachte, weiß ich nicht.. bis 2012 ging alles nur bergab. Negativität war mein Leben, genau wie Essen und besagte Gefühle und Denkstrukturen. Im Laufe diesen Jahres lernte ich eine gute Freundin kennen, Bella, die mir heute noch in den Hinter tritt. Sie zog mich aus dem Schneckenloch, gefolgt mit meiner ersten Begegnung mit dem “Verliebt sein” und dem kennen lernen Anfang 2013 meines heute irgendwie besten Freundes. Mein Umdenken begann dort. Ich konnte nicht weiter machen. Es war nicht okay, dass ich mich von meinen Freunden abwendete, weil mir andere Menschen eingeredet hatten: DU BIST FETT UND HÄSSLICH. Ich habe mich geschämt raus zu gehen, habe mich und meinen Körper verabscheut.

Und ich konnte nicht mehr.

Wenn mir diese Klick-Momente kommen, dann heftig. Ich lernte neue “Freunde” kennen und versank in der Community von Anime & Manga. Die “Freunde” und mein “wirklich” erster Freund in Kombination mit dem Rest schleiften mich endlich aus dem Tief. Einige von diesen Menschen sind heute nicht mehr an meiner Seite, haben mich ebenso verraten, ergo alle im besagten neuen Freundeskreis. Dennoch zwang ich mir währenddessen meine Computersucht bis es sich im normalen Feld bewegte ab. (Hier half mir der Bewusste griff zum Buch). Auch mein Essverhalten verbesserte sich erheblich im Laufe der nächsten Jahre. Zwischen 2013 und heute begann ich umzudenken, mir bewusst zu werden was da falsch ist. Ich habe schreckliche Gedanken, die so tief in mir stecken und trotz Fortschritte durch Gesellschaft und dumme Kommentare noch heute Feuer bekommen. Mein Kampf gegen genau das hatte begonnen. Beeinflusst durch Menschen die mir Nahe standen, denen ich mich endlich öffnete habe die ersten Fortschritte gemacht und letztlich auch das krankhafte Essverhalten zum größten Teil abgelegt.  Es war mühevoll zu lernen, dass ich nicht immer so viel Zucker in mich stopfen muss. Auch heute ergreift mich dieser Automatismus noch. Zum einen habe ich als Spätfolge immer noch dauerhaft Appetit und sehr selten ein Sättigungsgefühl, was mir jede Mahlzeit erheblich erschwert. Ich könnte Stunden über Rückfälle erzählen und darüber wie sehr mich ein Blick einer schlanken Frau oder das abschätzige Augenbrauen heben eines Mannes auch heute noch arg verunsichert… aber irgendwann ist genug. Ich glaube, ich habe verdeutlichen können, was Wörter, Taten und daraufführende BS tun.

Die wirklichen und echten Freunde sind geblieben und haben auch nicht vor zu gehen. Sie helfen mir noch heute. Jetzt mit 22 Jahren kann ich sagen, dass ich mich nicht gänzlich in der Body Positivitiy befinde, aber auf den richtigen Weg.

Teil 2 – Jen und ihr Body Positivity

Viele aus der Community kennen mich als lebhaften, sprunghaften und gut gelaunten Menschen, der grinst, mitlacht und sogar Witze über sich selbst reißt. Das ist Jen, wenn sie sich sicher und wohl fühlt. Dieses Selbstvertrauen ist hart erkämpft und wird mühevoll aufrecht gehalten. Aber es fällt auch gerne mal zusammen durch gewisse Sachen. Und das ist okay – es ist okay, sich mal schwach zu fühlen und sein Kummer rauszulassen. Weil ich weiß das ich anders kann. Ich liebe meine Augen, sie strahlen das aus was ich empfinde und am schönsten sind sie, wenn ich mich glücklich fühle. Meine Offenheit. (Außer bei Ladenleute ansprechen.. oder Leute nach dem Weg fragen.. oder Telefonieren, dass ist immer noch meh.) Ich war ein so verschlossener Mensch, dass es sich heute bombastisch befreiend anfühlt meine Geschichte zu teilen, mit allen zu reden und mich wirklich immer und überall über irgendwas auszutauschen. Ich brauche andere Menschen. Ich brauche die Interaktion. Ich mag mein Übergewicht heute noch nicht. Aber wir sind Freunde geworden, ich lebe mit ihm, so wie er mit mir. Es hindert mich nicht daran die Welt zu entdecken und das nachzugehen was ich machen möchte. Ich lerne jeden Tag mich zu mögen und ich bin bereit dafür und habe selbst meine Komplexe (u.a. auch Spätfolgen) akzeptiert. Ich falle hin und stehe auf. Ich zweifle an mir selbst und stehe trotzdem für mich ein. Ich jammere über mein Fett und das viele das doof fänden könnten, trage trotzdem Leggings und Bluse, weil ich es mag! Es ist immer ein auf und ab und tagesabhängig, aber ein einfach aufgeben ist nicht okay! Das weiß ich jetzt, dass habe ich gelernt und verinnerlicht. Dabei habe ich viele Leute, die mich unterstützen, dir mir zuhören und die mich anschupsen. Ich kann lächeln und sagen: Ja! Ich bin dicker als sehr viele andere Menschen. Aber ich bin deswegen NICHT schlechter als sie. Mein Körper kann sich genauso bewegen wie deiner und es ist egal, was DU dabei denkst. Wichtig ist, dass ich dabei Spaß habe. Und wenn ich mit meinen Freunden irgendwo stehe und wir Witze machen und ich dazu tanzen/wackeln möchte, DANN mach ich das! Und es ist mir egal, was da schlappert und ob DU das scheiße findet.

Seid nett zu den Menschen. Lächelt, akzeptiert und respektiert. Nimmt die Menschen hin wie sie sind und wenn ihr sie nicht versteht, dann fragt einfach nach. Informiert euch. Tretet in den Austausch. Behandelt anderen genau so, wie ihr selbst gerne behandelt werden möchtet. Steht für mehr miteinander ein. Steht für mehr Zusammenhalt ein. Steht für ein WIR! Weil wir sind alle Menschen. Jeder ist auf seine Art besonders, einzigartig und wertvoll.

So.

Reicht erstmal.

Fühlt euch umarmt. Schaut unbedingt bei den anderen Teilnehmern vorbei. Liebt euch selbst.