#52Wochen52Menschen: KW52 – Matthias Thurau – Tag 3
Deine Welten
Der Wohnraum. Unendliche Weiten. Wir befinden uns auf einer Reise durch die literarischen Welten des Matthias Thurau.
Trotz star-trekesker Einleitung spielt nur eine meiner Geschichten im Weltraum. Das ist Bad Luck II im Erzählband Erschütterungen. Dann Stille.. Ich mag in Science-Fiction-Filmen die symbolische Nutzung des Weltraums als Ort absoluter Abgeschiedenheit, Leere und Einsamkeit. Ein völlig unwirtlicher Ort, in dem man in Sekundenschnelle sterben kann, wenn der Schutz fehlt, weit weg von jedweder Geborgenheit. Wer nicht mit im Raumschiff sitzt, ist unendlich weit entfernt. Dieses Gefühl von Einsamkeit war ein Ankerpunkt, den ich gesetzt habe für Bad Luck II. Inhaltlich geht es noch um viel mehr, aber, wie gesagt, ich wollte unbedingt dieses Feeling darstellen: Einsamkeit, Leere, sogar Geräuschlosigkeit. Der Weltraum ist ein perfekter Ort dafür. Du kannst schreien, aber niemand hört dich.
Dieser kleine Ausflug macht deutlich, wie ich Orte für Geschichten auswähle. Handlungsorte müssen (genau wie Figuren) der Geschichte dienen, wobei ich jetzt intendierte Bedeutungsebenen und Hintergründe mit zur Geschichte zähle. Das wiederum heißt, dass ein Ort auch gewählt sein kann, um eine Verbindung zwischen Text und mir selbst herzustellen, um mich auf einer weiteren Ebene zum Teil der Geschichte zu machen.
Grundlage für die Kreuzfahrt in Sorck ist eine reale Kreuzfahrt gewesen, die ich durchstehen durfte. Entsprechend sind (fast) alle Orte (Schiff, besuchte Städte, Sehenswürdigkeiten) echt. Damit ist die Verbindung zur Realität, zu mir, hergestellt. Allerdings sind die Orte verändert worden, um die Geschichte zu stützen. Beispielsweise steht eine bestimmte Kirche in einer bestimmten Stadt und diese Stadt war auch auf der Route meiner Kreuzfahrt, aber das Innere der Kirche ist frei erfunden. Wenn aber das tatsächliche Innere der echten Kirche gut in die Geschichte passt, verändere ich es nicht. Die Welt hat der Geschichte zu dienen, nicht umgekehrt.
Das alles gilt natürlich nur für Geschichten, die auch wirklich Handlungsorte haben. Experimente zwischen Prosa und Lyrik oder Geschichten, die komplett aus der Innensicht geschrieben sind, also reine Reflexion oder Gedankenkreisel sind, brauchen selten einen Ort, weil unsere Gedanken und Gefühle nicht ortsgebunden, sondern potenziell überall sind. Wenn die Texte wiederum ins völlig Surreale oder Traumartige (Traumhafte) abdriften, steht es mir nicht nur frei, alles anzupassen oder sogar wild fluktuieren zu lassen, sondern es ist beinahe eine Pflicht, dies zu tun. Selten wird nämlich das Handeln der Hauptfigur surreal und widersinnig, sondern zuerst die Umgebung, die Anzeichen dafür gibt, dass Realismus aus dem Fenster geworfen wird und es ab jetzt um mehr geht, oder die Handlungen von Nebenfiguren (bzw. sie selbst) werden absurd und surreal. In dem Fall aber sollte ich die Umgebung möglichst realistisch wirken lassen, um den Kontrast zu verdeutlichen, und erst wenn man sich tiefer und tiefer in die verdrehte Welt begibt, passen sich Welt und Figuren an, bis sie manchmal sogar die Protagonist*innen vereinnahmen und alles völlig seltsam wird.