Interview mit Matthias Thurau

Interview mit Matthias Thurau

April 20, 2020 3 Von jenlovetoread

Es geht in die dritte Runde! Heute heiße ich Matthias willkommen. Auch er ist fleißiger Autor und hat sich meinen Fragen gestellt! Viel Spaß beim lesen!

Let‘s do Smalltalk

1) Sei so nett und stellt dich vor. Wer bist du?

Mein Name ist Matthias Thurau, ich bin 34 Jahre alt, Autor und lebe in Dortmund.

2) Wir sind dieses Jahr erstmal auf keine Messe, jedoch lass uns trotzdem drüber sprechen. Warst du schon mal auf einer? Wenn ja, erzähle mir doch mal von deiner ersten Buchmesse und der daraus resultierenden Erfahrungen! Wie fandest du sie und was hältst du von diesen Messen? → Oder nicht? Wie kommt es, dass du dich nun dafür entschieden würdest?

Bisher war ich zweimal auf der Frankfurter Buchmesse, 2017 und 2019. Bei der ersten Messe habe ich mir einen eintägigen Eindruck verschafft, mir Vorträge angehört und viel gelernt. Vor dem zweiten Besuch hatte ich über Twitter bereits mehrere andere Autor*innen kennengelernt, was die ganze Sache veränderte. Ich mietete mich für mehrere Tage in Frankfurt ein und verbrachte meine Zeit vor allem mit Elyseo da Silva, traf aber auch Michael Leuchtenberger, Kia Kahawa, Magret Kindermann, Nika Sachs und andere großartige Menschen. Diese Kontakte haben mir geholfen und helfen mir noch immer, nicht nur, weil sie mir verdeutlicht haben, dass ich durch meine Schreibarbeit Teil einer Gemeinschaft bin und dass Freundschaften innerhalb dieser Gemeinschaft möglich sind, sondern auch praktisch durch Tipps, Austausch, Testlesen und ähnliche Hilfestellungen. Der Aufbau und die Pflege von Kontakten ist meiner Meinung nach der wichtigste Grund, um als Autor*in Buchmessen zu besuchen. Außerdem tut es verdammt gut, zwischen abertausenden Büchern als Buchmensch mit Buchmenschen über Bücher zu reden und gelegentlich ein Stück Kuchen zu essen. Ich hatte mich entsprechend auf die Buchmesse in Leipzig gefreut. Die nächste Messe wird kommen.

3) Du bist Selfpublisher*in. Warum hast du dich dafür entschieden? War das von Anfang an dein Ziel oder eine spontane Entscheidung?

Aus meiner Sicht ist Selfpublishing eine großartige Ergänzung zum klassischen Veröffentlichungsweg. Ich bin nicht Selfpublisher aus Prinzip, sondern würde gerne mit Verlagen arbeiten, nicht jedoch zu jedem Preis. Die Werke, die Verlage aus welchem Grund auch immer – zu großes finanzielles Risiko, zu neu, zu unbekannt, zu kurz, Lyrik etc. – nicht veröffentlichen wollen, können eigenständig publiziert werden. So handhabe ich das für mich: Alles, was die Chance haben könnte, bei Verlagen veröffentlicht zu werden, wird auch eingereicht. Was nicht genommen wird, bringe ich selbst heraus. Was ohnehin wenig Erfolgsaussichten bei Verlagen hat, veröffentliche ich ebenfalls selbst. Am Anfang war genau das das Problem: Mein Roman ist anders als das, was die meisten Leser*innen gewohnt sind, und war damals aufgrund mangelnder Erfahrung nicht ausgereift genug. Keiner wollte ihn. Also wurde er stark überarbeitet und über einen Distributor veröffentlicht. Eine gute Entscheidung.

4) Was gefällt dir besonders an der Arbeit als Selfpublischer*in?

Da gibt es mehrere Punkte. Dass meine Werke nicht abgelehnt werden, gibt mir die Sicherheit, mir Experimente zu erlauben. Da ich mein eigener Chef bin, existiert kein Zeitdruck. Dieser Punkt ist manchmal auch ein Nachteil. Vor allem mag ich es, dass ich alles vom Inhalt über den Aufbau bis zum Cover selbst entscheiden und (mit)gestalten kann. Es ist dann ganz und gar meins.

5) Könntest du dir vorstellen zu einem Verlag zu wechseln?

Wie schon erwähnt, ist das für mich kein Schwarz-Weiß-Spiel. Ich würde gern mit Verlagen arbeiten, aber nicht prinzipiell das Selfpublishing für andere Werke aufgeben. Was immer meine Werke am besten an die Leser*innen bringt, ist die richtige Wahl.

6) Wieso hast du dich für deinen Distributor entschieden? Was genau hat zu dieser Entscheidung beigetragen?

Vor den Veröffentlichungen habe ich mich mit Preisen, Qualität und Erfahrungsberichten anderer Selfpublisher*innen beschäftigt. Bei Twentysix fand ich die Zusammenarbeit mit Random House interessant, die mit Glück zu einer Übernahme durch einen Verlag hätte führen können. Für den Gedichtband war diese Möglichkeit weniger realistisch, weshalb ich zu Books on Demand gegangen bin. Da kann man wenig falsch machen, denke ich. Für die E-Books habe ich KDP Select getestet, weil man um Amazon leider kaum noch herumkommt, aber das brachte mir wenig. Daher laufen sie jetzt über KDP und Tolino parallel, was per Vertrag möglich ist, um einen möglichst großen Teil des Marktes abzudecken. Außerdem verdiene ich so pro Buch mehr Geld, als wenn ich den Taschenbuch- Distributor auch meinen E-Book-Verkauf regeln lasse. Großer Pluspunkt bei Tolino ist übrigens das Team, der sehr freundlich und hilfsbereit ist. Gerade die kostenlosen Werbeaktionen haben mir einiges gebracht.

7) Der deutsche Buchmarkt wird immer vielfältiger. Mit der verschiedenen Auswahl an Kleinverlagen, mehr SPlern und den neuen Ablegern in Großverlagen passiert einiges. Was hältst du von der Entwicklung und was wünscht du dir, dass noch im deutschen Buchmarkt passiert?

Ich kann nicht behaupten, viel Ahnung vom Buchmarkt zu haben. Der verbesserte Zugang zum Markt für Nicht-Verlagsautor*innen ist ein positiver Trend, da auf diese Weise neue Inhalte und Stile gefunden werden können, die den Verlagen zu risikoreich erscheinen. Damit hat man ein Testgebiet für Neues ohne Vorsortierung. Es bringt allerdings auch den Nachteil mit sich, dass der Markt überschwemmt wird mit Werken, die möglicherweise nicht hätten veröffentlicht werden sollen und mit denen dennoch konkurriert werden muss. Die Orientierung für Leser*innen geht dadurch verloren und das Vertrauen von Buchhändler*innen zu Selfpublisher*innen leidet. Ein Händler erzählte mir von einem Autoren, der angeblich eine Formel für die Berechnung des Weltuntergangs gefunden hätte und mit seinem Buch die Öffentlichkeit alarmieren wollte. Dieser Händler war danach verständlicherweise vorsichtig bei SP-Autor*innen. Hinzu kommen Fake-Ratgeber, die reiner Betrug sind, qualitativ unterirdische Werke voller Fehler und andere Ausrutscher, die das Vertrauen in SP- Bücher schädigen und ernsthaftere Werke in einer Flut von Bullshit untergehen lassen. Aber solche Entwicklungen kommen zwangsläufig mit einem Markt, der für alle offen ist. Als Leser verlasse ich mich längst nicht mehr auf den Ruf von Verlagen, Bestseller- und Ranglisten oder Amazon- Algorithmen, sondern nur auf Erfahrungswerte und die Empfehlungen von Menschen mit bewiesenermaßen gutem Sinn für Literatur. Wo die mangelnde Orientierung hinführen wird, weiß ich nicht, aber ich weiß, dass Leser*innen deswegen nicht aufhören werden zu lesen. Das ginge gegen ihre Natur.

8) Nicht nur der Buchmarkt verändert sich, auch die Leserschaft macht eine Wandlung durch. Sie mögen es, wenn sie Wissen, wer das Buch geschrieben hat, welches sie aktuell lesen und lieben. Wie stehst du dazu und was empfindest du dabei, dass Leserschaft und Autor*innen immer näher rücken?

Ich selbst (als Leser) interessiere mich nur insofern für die Person hinter dem Werk, dass mich die Gedankengänge und die Entstehungsgeschichte interessieren. Hobbys, Beziehungsstatus, Haustiere oder Alltagsleben kümmern mich nicht, es sei denn, sie haben Bezug zum Werk. Mir geht es um Literatur und nicht um Freundschaften dabei. Das soll natürlich nicht bedeuten, dass mir die Freundschaften zu anderen Autor*innen nicht wichtig wären und mich deren Leben nicht interessierte, sondern nur, dass Sympathie kein großes Kaufargument für mich ist. Diese Freundschaften pflege ich der Freundschaften willen und ohne Bezug zur Literatur, auch wenn das die Kennenlernbasis gewesen ist. Hesse war ein Arsch, aber ich mag seine Bücher. Das Bedürfnis nach Einblick ins Privatleben ist legitim und ich nutze Social Media, besonders Twitter, um das Bedürfnis zu erfüllen, aber auch aus eigenem Mitteilungsbedürfnis. Man merkt, denke ich, dass ich ein bisschen zwiegespalten bin bei dem Thema. Auf meinem Blog wiederum veröffentliche ich Texte, die den Hintergrund meiner Werke beleuchten. Ich hätte persönlich nichts dagegen, wenn ich nur ein Name auf Büchern wäre, der für gute Geschichten steht und über den man sonst nichts weiß. Gleichzeitig habe ich mich an Twitter gewöhnt und würde es vermutlich auch ohne Gedanken an literarischen Erfolg nutzen. Wenn es hilft, meine Bücher zu verbreiten, teile ich noch lieber Details aus meinem Leben. Am Ende ist es auch ein gutes Gefühl, wenn sich Menschen für mein Leben interessieren.

Let’s have fun!

9) Was war dein witzigster Verschreiber in einem Manuskript?

Sowas sollte man sich merken, oder? Leider habe ich keine Ahnung. Wenn ich schreibe, bin ich selten im Schreibrausch, sondern tippe relativ langsam und immer mit Blick auf den Monitor. Vertipper sind dabei sehr selten und werden sofort korrigiert, wenn ich sie entdecke. Das ist langweilig, ich weiß.

10) Dank dem 21. Jahrhundert erleben wir viel Marketing für Bücher im realen Leben und auf Social – Media, dementsprechend gibt es immer wieder Begegnungen mit Kolleg*innen und Lesern…  welche Anekdoten ergeben sich daraus, an denen du dich gerne erinnerst?

Mit dem 21. Jahrhundert hat es wenig zu tun, aber als ich das erste Mal die Partnerin eines Freundes getroffen habe, hatte sie kurz zuvor Sorck gelesen. Wir saßen im Außenbereich einer Kneipe und sie erzählte mir von allen Stellen, die sie besonders mochte, und welche Formulierungen und Neologismen sie in ihren Sprachgebrauch übernommen hätte. Zwar war ich ein wenig überfordert damit, aber es tat verdammt gut. Generell ist es super, dass man Rückmeldungen direkt erhalten kann.

11) Hast du seltsame oder witzige Angewohnheiten in deinem Autor*innen – Leben?

Grundsätzlich seltsam finde ich es, dass man eine Tätigkeit als eigene Lebensaufgabe akzeptiert, die mindestens zur Hälfte daraus besteht, dass man ins Leere starrt und nichts tut. Die andere Hälfte der Zeit erschafft man Werke, die andere Personen in emotionales Chaos stürzen und deren Weltbilder erschüttern sollen, während man sie gut unterhält. Innerhalb dieser Tätigkeit verhalte ich mich ganz normal.

EXTRA: Foto – Mission!

12) Stelle deinen liebsten Protagonisten dar!

Ich verweise an dieser Stelle mal ganz dreist aufs Buchcover von Sorck. Das bin ich, der Martin Sorck darstellt. Ein Gesicht oder einen bestimmten Look darüber hinaus mit ihm zu verknüpfen, würde meiner Auffassung widersprechen, dass Leser*innen sich möglichst umfassend ihr eigenes Bild von literarischen Figuren machen sollten, um ihnen näherzukommen, anstatt bloß das aufgezwungene Bild zu akzeptieren oder im schlimmsten Fall damit zu kollidieren.

13) Präsentiere dein Buch mal anders.

14) Deine beste Eigenschaft?

Unzufriedenheit. Die Unzufriedenen waren von der Evolution stets bevorteilt, weil sie sich nie mit dem zufrieden gaben, was sie hatten, taten oder waren. Ohne meine Unzufriedenheit fehlte mir der Antrieb, hunderte Stunden Arbeit in meine Projekte zu stecken, meine eigenen Ängste und Grenzen dafür zu überkommen und nicht aufzuhören, obwohl oder gerade wenn ich wenig Erfolg ernte.

15) Was machst du neben dem Schreiben sehr gerne?

Ich versuche jeden zweiten Tag Sport zu treiben und liebe es, die Workouts zu übertreiben, sie derart hart zu gestalten, dass ich es kaum aushalte, am Ende Schwierigkeiten habe, noch gerade zu laufen, und gleichzeitig unheimlich stolz auf mich bin. Ein Teil von mir versucht, mich zu brechen, während der Rest dagegen ankämpft. Es ist ein herrliches Gefühl nach mehreren Stunden Training völlig erschöpft auf der Couch zu sitzen und nichts als Frieden zu empfinden (und vielleicht ein bisschen Schmerz). Ansonsten führe ich gern lange Gespräche mit Freund*innen, besuche Konzerte (hauptsächlich Metal, Stoner, Doom, Sludge) und mag lange Spaziergänge am Strand.

16) Worauf bist du besonders stolz?

Abgesehen natürlich von meinen Veröffentlichungen gibt es einige Wendepunkte in meinem Leben, die viel Kraft gekostet haben und auf die ich stolz bin. Manche Menschen gewinnen Kämpfe, die andere nicht führen müssen. Auf solche Siege bin ich besonders stolz.

Was für ein Einblick! Ich bin begeistert. Ihr auch? Hier gibt es mehr von Matthias:

Titelbild: Photo by Debby Hudson on Unsplash