#52Wochen52Menschen: KW52 – Matthias Thurau – Tag 2
Was, wie, wo, warum schreibst du?
Vorwort: Um diese Vierfachfrage zu beantworten, könnte man ein ganzes Buch schreiben, und tatsächlich haben einige das getan. Ich nicht. Ich habe dafür Papierkrieg.Blog.
Was?
Form, Genre, Inhalt. Bisher veröffentlicht habe ich einen Roman, einen Gedichtband, zwei Erzählbände (davon ist einer eine Trilogie aus kurzen Erzählungen), Kurzprosa in einer Literaturzeitschrift und Kurzgeschichten in zwei Anthologien. Der Roman (Sorck: Ein Reiseroman) ist kein Reiseroman, heißt aber so. Sorck ist ein skurriler, surrealer Irgendwas-Roman, der auf einer Kreuzfahrt angesiedelt ist. In Das Maurerdekolleté des Lebens: Drei surreale Geschichten gibt es drei surreale Geschichten, während in Erschütterungen. Dann Stille.: Erzählungen 29 Kurzgeschichten und Erzählungen der Genres Gegenwartsliteratur, Grusel/Horror, Surrealismus, Science-Fiction und (ich nenne es mal) Experimentelles zu finden sind. In einer Anthologie findet sich eine sexy-romantische Szene, in der wichtig ist, was nicht erwähnt wird, und in der anderen stehen eine Horrorstory und eine Fantasy-Kurzgeschichte mit Tiefgang. Gedichte schreibe ich auch, sogar Prosagedichte manchmal.
Der gemeinsame Nenner aller Texte ist wohl das düstere Feeling, das Triste, das dennoch mit Humor angereichert ist, das Abgedrehte, Weirde und Seltsame. Prosa ist geduldig, lässt sich Zeit, gönnt sich Weite. Selbst in Kurzgeschichten stört ein zusätzliches Wort nicht immer, bei ganzen Sätzen kann man sich streiten. Lyrik wiederum ist reduziert und erlaubt keine Fehltritte, generell kein Flanieren auf Abwegen. Daher sind meine Gedichte nur selten humoristisch aufgelockert, sondern lassen sich von nichts ablenken in ihrer deprimierten Verspieltheit. Dementsprechend sind meine Gedichte immer die traurigeren Texte.
Fast immer liebe ich das Spiel mit Bedeutungsebenen. Sorck ist da ein Extrembeispiel. Kaum ein Satz, der nicht versteckte Hinweise auf andere Literatur, auf Mythologie, Religion, Kunst und weitere Gebiete enthält. Jeder Punkt, inklusive der Struktur selbst hat Bedeutung. Seitdem handhabe ich diesen Aspekt weniger extrem. Trotzdem ist es mir wichtig, dass Geschichten emotional und intellektuell nachklingen. Man kann (und sollte?) sich nach der Lektüre die Zeit nehmen und über den Text nachdenken. Das ist mindestens die Hälfte des Spaßes. Wer nach dem Lesen mehr erfahren will über meine Ansätze und Ideen, findet zu eigentlich allen veröffentlichten Texten auf Papierkrieg.Blog passende Artikel. Auch für viele Gedichte. Wichtiger als das, was ich mir dabei denke, ist jedoch, was die Leser*innen für sich aus den Texten ziehen.
Wie?
Lyrik schreibe ich üblicherweise spontan, in einer Sitzung (plus spätere Überarbeitungsrunden), während ich Prosa meist plane. Man könnte sagen, je länger der Text, desto umfangreicher die Planung. Das stimmt aber nicht immer. Manche Gedichte und Kurzgeschichten entstehen nach längerer Planung, manche Erzählungen spontan. Nur Romane werden grundsätzlich geplant. Die Planungsnotizen und Hintergrundarbeiten für Sorck sind mindestens so umfangreich wie der Roman selbst. Rechnet man verworfene Szenen, Schreibübungen und all das hinzu, wäre das Verhältnis eher 3:1 für das Drumherum. Trotzdem lasse ich mir Freiheiten für spontane Ideen. Manchmal merkt man erst beim Schreiben, dass die geplante Handlung weniger gut passt als diejenige, die einem spontan eingefallen ist. Ich bin also kein Pantser, sondern tendenziell eher Plotter, wenn es um „längere“ Texte (länger als ca. 4000 Zeichen) geht. Danach wird überarbeitet, neu gedacht und geplant (auch bei spontan entstandenen Texten), wieder überarbeitet und immer so weiter, bis ich zufrieden bin. Dementsprechend brauche ich recht lange für einen fertigen Text.
Wo?
Wenn ich zuhause bin, schreibe ich am Schreibtisch. Der PC ist das Zentrum der Wohnung: Arbeit, Musik, Filme, Serien, Kommunikation. Im Wohnzimmer scheint alles auf die Arbeit ausgerichtet. Dort steht der PC als Schreibwerkzeug, Notizbücher liegen herum und auch immer Bücher für Recherchen, Blöcke für Zeichnungen, Klebezettel, was man eben so braucht.
Seit einer Weile allerdings genieße ich es, bei meiner Freundin auf der Couch zu sitzen, den Laptop auf dem Schoß, ihre kleinen Hunde links und rechts an meine Beinen geschmust, und dort zu schreiben. So sieht es auch jetzt gerade aus.
Nur sehr selten schreibe ich im Freien und eigentlich nie unterwegs. Ausflüge, Zugfahrten und dergleichen sind für mich Gelegenheiten, um neue Ideen zu entwickeln und die Gedanken ziehen zu lassen, nicht um tatsächlich etwas umzusetzen. Mehr als ein paar Notizen oder ein spontanes Gedicht sind dann nicht drin. Das finde ich gut so.
Gerne würde ich für ein Literaturstipendium angenommen werden, um in einer fremden Stadt in einer zur Verfügung gestellten Wohnung zu arbeiten. Neue Eindrücke, neue Umgebung, alles neu. Das kann sehr hilfreich und befreiend sein. Aber bis es mal klappt, schreibe ich am PC am Schreibtisch oder am Laptop auf der Couch.
Warum?
Ich glaube, die meisten Autor*innen wollen sich von etwas befreien. Manche befreien sich während des Schreibens, indem sie in spannende und/oder wohltuende Fantasiewelten eintauchen, andere, indem sie Erfahrungen, Gedanken oder Gefühle verarbeiten, und wieder andere, indem sie Kritik literarisch verpacken. Wenn die erste Gruppe etwas veröffentlicht, dann um ihre Freude zu teilen, oder einfach, um aus ihrer Arbeit einen zusätzlichen Gewinn in Form von Geld und Bestätigung zu schlagen. Das ist super so. Die zweite Gruppe würde ich eher zu den Exibitionist*innen rechnen oder zu Menschen, die Bestätigung brauchen. Das klingt jetzt schlimmer, als es gemeint ist. Ich selbst zähle mich zur zweiten Gruppe, wobei auch ein Anteil aus Gruppe 3 mit im Mix ist. Reinformen gibt es ohnehin nie.
Einen Teil meines Selbstwerts ziehe ich aus den Veröffentlichungen und dem Fleiß, den ich zuvor in die Arbeit gesteckt habe, und ich arbeite daran, dass das nicht Überhand nimmt. Dass viele Autor*innen abseits der Norm denken und fühlen, finde ich logisch. Wieso sollte man für wenig Geld und prekäre Verhältnisse dermaßen viel Zeit und Energie investieren, so viele Zweifel und Enttäuschungen ertragen, sich so sehr öffentlichen Diskussionen und Anfeindungen ausliefern mit etwas, das einem am Herzen liegt? Aber das ist wohl kaum die ganze Antwort.
Ich betrachte mich als Getriebenen. Ich habe Dinge in mir, die raus wollen. Das Signal ist voll aufgedreht, aber die Lautsprecher können nur eine gewisse Leistung bringen. Alltagskommunikation wäre hier das Lautsprechersystem. Ich brauche also mehr Leistung, um lauter sein zu können, lauter werden zu können. Ich muss gehört werden. Warum? Wenn ich das wüsste, müsste ich nicht mehr aufs Schreiben ausweichen.
Ein weiterer Grund wäre wohl, dass ich einerseits ein Mensch bin, der dringend Sinn benötigt in den Dingen, die er tut, und andererseits einer, der an keine absolute sinngebende Größe glaubt. Gott, Schicksal, Seele oder sonstwas sind für mich interessante Konstrukte, aber nicht Teil meines Weltbildes. Wenn nichts Sinngebendes existiert, fehlt jedweder Sinn und alle Tätigkeit wird eben ultimativ sinnlos. Warum noch etwas tun? Warum nicht einfach aufgeben? Ist das nicht absurd? Es gibt nur einen realistischen Ausweg, eine Notlösung, aus dieser Gedankensituation: Sich selbst Sinn schaffen. (Albert Camus sieht 3 Wege: Suizid, Religion, Sinn schaffen.) Auf einer Bedeutungsebene geht es genau darum in Sorck. Ich habe einmal auf mein Leben geblickt und nach einer Konstanten gesucht. Die einzige (nicht deprimierende) Konstante war und ist die Literatur. Wenn ich mir einen Sinn suchen musste, wäre er zwangsläufig dort anzusiedeln. Also habe ich ihn dort angesiedelt. Entsprechend kann ich gar nicht mehr anders, als weiterzuschreiben, da sonst alles seinen Sinn verlieren würde. Ist das eine gesunde Einstellung? Absolut nicht. Ich bin in einer Sackgasse, gezwungen immer weiter Leistung zu bringen, und Schreibblockaden sind Sinnkrisen. Warum ich schreibe? Weil ich mich entschieden habe, dass es keinen anderen Weg gibt. Weil ich muss.